Gegensätze und Kontraste: Jannis Lenz über sein Langfilm Debut SOLDAT AHMET
Frameout: Ich möchte unser Filmgespräch gerne dort beginnen, wo auch du deinen Film beginnen lässt – bei der Geschichte vom Krokodil und der Hyäne.
Dein Protagonist Ahmet erzählt dabei aus dem Off: „Es treffen sich eine Hyäne und ein Krokodil am Flussufer am Nil. Die Hyäne fragt das Krokodil, wie’s ihm geht. Das Krokodil sagt „Mir geht’s nicht gut. Manchmal weine ich vor Kummer und dann sagen die anderen ‚Das sind doch nur Krokodilstränen.‘ Und das verletzt mich sehr.“ Auch für Ahmet nimmt das Weinen oder eben Nicht-Weinen eine wichtige Rolle ein. Wie kam es dazu, dass dieses Thema zum Ausgangspunkt und roten Faden deiner Erzählung wurde?
Jannis Lenz: Ahmets innerer Konflikt rund um die Tränen hat sich tatsächlich erst im Zuge der Dreharbeiten entwickelt. Wir haben zunächst damit begonnen, Momente aus Ahmets abwechslungsreichem Alltag zu sammeln. Irgendwann hat Ahmet mir dann eher nebenbei gesagt, dass er seit rund 15 Jahren nicht mehr geweint hat. Ich hab zuerst gedacht er macht einen Spaß aber als wir uns länger darüber unterhalten haben wurde mir klar, dass er mir von einem tatsächlichen Problem erzählt, mit dem er zu kämpfen hat. Plötzlich haben sich so viele Ideen und Verbindungen bei mir aufgemacht, in Bezug auf die Rollen, denen Ahmet in seinem Alltag gerecht werden muss, dass sich dieser innere Konflikt, den er seit Jahren mit sich herumträgt, perfekt als roter Faden, für alles was ich erzählen wollte, angeboten hat.
Jannis Lenz im Gespräch mit Lisa Heuschober bei frame[o]ut im Sommer 2021, © Lorenz Zenleser
Frameout: SOLDAT AHMET ist nicht das erste deiner Projekte, bei dem du mit Ahmet Simsek arbeitest. Du hast ihn bereits für den Kurzfilm SCHATTENBOXER (2015) porträtiert und zu deinem Protagonisten werden lassen. Wie habt ihr zwei euch kennengelernt und was war für dich und euch ausschlaggebend dafür, einen Kurz- und anschließend sogar einen Langfilm über Ahmet zu drehen?
Jannis Lenz: Ahmet habe ich 2014 eigentlich durch Zufall auf der Suche nach dem Hauptdarsteller für meinen Kurzfilm Schattenboxer kennengelernt. Weil meine Arbeit stark von der Improvisation lebt und dem, was die Protagonist*innen von sich aus mitbringen und in ihre Rollen einfließen lassen, war klar, dass ich mit einem echten Boxer arbeiten wollte. Ahmet war der erste, der mir von seinem damaligen Trainer empfohlen wurde und ich hab ihn dann auch quasi direkt nach dem ersten Kennenlernen im Boxclub engagiert, weil mich seine Präsenz und Ausdruckskraft vor der Kamera begeistert hat, die bei all der Härte immer auch etwas Zerbrechliches in sich trägt. Im Zuge der Dreharbeiten hat sich der Fokus dann immer weiter vom Boxen hin zu Ahmets inneren Konflikten in Bezug auf den Umgang mit Gewalt verschoben.
Dieses Spannungsfeld zwischen der Härte, die Ahmet oft nach außen hin verkörpert und seiner Sensibilität auf der anderen Seite, haben mich schon damals sehr fasziniert. Die vielen scheinbaren Widersprüche und Konflikte, die damit einhergehen, waren sicher der Ausgangspunkt für SOLDAT AHMET. Mich interessieren Gegensätze und Kontraste im Leben und das, was passiert, wenn ich diese Dinge vor der Kamera zusammenführe. Die Vorstellung, dass ein Soldat Schauspielunterricht nimmt um seine Gefühle besser ausdrücken zu können und diesen Prozess dokumentarisch begleiten zu dürfen, hat mich nicht mehr losgelassen. Außerdem war SOLDAT AHMET ein Projekt, das ich im engen Kreis mit Freund*innen bewerkstelligen konnte und so auch in der Lage war, sehr unabhängig von äußeren Umständen zu drehen um den Film wirklich organisch wachsen zu lassen.
© Jakob Fuhr
Frameout: Dein Film entspricht einer dokumentarischen Erzählung, bleibt beobachtend und folgt Ahmet durch die verschiedenen sozialen und beruflichen Welten in seinem Leben. Manchmal greifst du intensiver in die Inszenierung ein, ohne den Zuschauer*innen davon zu erzählen. Du und dein Script werdet zu unsichtbaren Akteuren in deinem Film.
Inwieweit hast du in die Handlung deines Films eingegriffen? In welchen Szenen würdest du dich nicht als reinen Beobachter und Dokumentaristen begreifen? Wo ziehst du die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion? Und welches Potential eröffnet Film, wenn er diese Linie überschreitet, auflöst oder damit spielt?
Jannis Lenz: Die Inszenierung selbst ist ja in gewisser Weise Thema des Films, daher war sehr früh klar, dass ich damit auch ganz direkt in der Umsetzung arbeiten oder besser gesagt spielen will. Der Grenzgang zwischen Fiktionalem und Dokumentarischem Arbeiten ist etwas, das mich schon immer fasziniert hat, wahrscheinlich weil ich nie wirklich verstanden habe, wozu diese Kategorien wirklich gut sind. Die Erwartungshaltungen und Raster, denen ein Film durch diese Schubladenzuweisung gerecht werden soll, habe ich immer als einschränkend empfunden. Meine Kurzfilme wurden oft von den Einen als Dokumentarisch und von Anderen als fiktional behandelt und ich fand das interessant, vor allem wenn es dann in die Publikumsgespräche ging. Ich stelle mich da auch sehr gerne den Diskussionen, denn ich versuche ja nicht, irgendwas zu verschleiern, sondern mit meiner Arbeit eher bewusst Irritationen zu provozieren und Fragen aufzuwerfen. Am Ende geht es mir aber immer darum, das was mir wichtig ist, durch meine Arbeit bestmöglich zu transportieren und dementsprechend nutze ich die Mittel und Wege, die mir das Medium Film und die ihm eigene Sprache zur Verfügung stellt.
Deshalb fällt es mir im Hinblick auf meine Filme auch schwer, da Abgrenzungen zu machen, also wo die Inszenierung anfängt und wo die scheinbare Wirklichkeit aufhört, weil ich nicht glaube, dass man da so einfach Grenzen ziehen kann. Umso interessanter finde ich es, diese Begriffe und das, was wir damit verbinden, in meinen Projekten immer wieder neu und anders zu hinterfragen. Wenn Menschen anfangen, sich aufgrund eines Films mit ihrer Wahrnehmung und dem, was sie als Wirklichkeit bezeichnen auseinanderzusetzen und ich vielleicht einen kleinen Teil dazu beitragen kann, dann finde ich das toll.
Produzent David Bohun und Jannis Lenz, © Lorenz Zenleser
Frameout: Ahmet bewegt sich in sozialen Räumen, die sehr stark von stereotypen Männlichkeitsvorstellungen geprägt sind.
Auch wenn Männlichkeit(en) in deinem Film nie direkt angesprochen werden, waren für mich Männlichkeitsbilder und die (Un)Möglichkeiten männlicher Emotionalität ein grundlegendes Thema deines Films. Wie siehst du das auf den Film bezogen? Und wie war es für dich, mit diesen Räumen und darin vorherrschenden Vorstellungen konfrontiert zu sein?
Jannis Lenz: Die bewusste Auseinandersetzung, oder besser gesagt die Suche nach Gefühlen in Räumen, in denen Gewalt und deren Ausübung Routine ist, war einer der Ausgangspunkte für meine Arbeit an SOLDAT AHMET.
Dass es hauptsächlich Männer sind, die sich in eben diesen Räumen bewegen, ist sicher kein Zufall. Die Frage, warum sich jemand freiwillig in solche engen Strukturen und den damit verbundenen Rollenbildern begibt, hat mich sehr beschäftigt, ohne diese Entscheidung irgendwie bewerten zu wollen.
Ich wollte mit meinem Film versuchen, Zerbrechlichkeit, Zärtlichkeit und zwischenmenschliche Nähe dort herauszuarbeiten, wo man es auf den ersten Blick vielleicht eher nicht vermuten würde.
Deshalb habe ich nach Möglichkeiten gesucht, den jungen Männern im Rahmen des Films Raum zu geben, sich für einen kurzen Moment aus der oft starren Routine, die wenig Platz für Gefühle erlaubt, zu befreien und sich entgegen der Rollenbilder, denen sie im Alltag sonst oft gerecht werden müssen, zu öffnen.
So bin ich auf die performativen Elemente gekommen, die sich vom Schauspiel übers Boxen und die Kaserne bis hin zum Gebet durch alle Bereiche ziehen und diese im Film zueinander in Beziehung setzen. Die Betonung des Tänzerischen in der Gestaltung gab mir dann auch die Möglichkeit neue Perspektiven auf gewisse Abläufe und Strukturen anzubieten und diese dadurch spielerisch zu hinterfragen.
Jannis Lenz studierte Regie in der Meisterklasse von Jessica Hausner an der Filmakademie Wien, wo er auch als Assistent für Michael Haneke arbeitete. Er ist Berlinale Talents Alumni, erhielt das Stipendium für Filmkunst des österreichischen Kulturministeriums, die Auszeichnung der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs und ist offizielles Mitglied der Europäischen Filmakademie.
Lisa Heuschober ist Kuratorin und Kulturschaffende. Für frame[o]ut Open Air Cinema und YOUKI International Youth Media Festival gestaltet sie Filmprogramme, Diskussionsformate und Workshops. Von 2020 – 2021 leitete sie das Wiener Menschenrechsfilmfestival this human world. Ihr Interesse liegt in der Gestaltung cineastischer Räume, die Orte für Interaktion, Kollektivität und interdisziplinäre Schaffensprozesse sind.