NEUE CODES FÜR DIE WIRKLICHKEIT

Alle zwei Jahre entsteht ein neues Medium im digitalen Universum. 2004 entstanden Facebook und Flickr, 2005 war es YouTube, 2006 kam Twitter, 2007 ging netflix online und YouTube führte sein Channel-System ein, 2010 entstanden Instagram und Pinterest. Messaging-Dienste wie WhatsApp oder Snapchat sowie Crowdfunding-Plattformen und Kampagnen-Netzwerke sorgen für eine Hochkonjunktur an medialen Prozessen. Mit den Plattformen entstehen auch neue Laufbildformate, deren Produktion und Nutzung Stimulation, ästhetische Freuden genauso versprechen wie Orientierung, Wissen und Hilfestellung bei Problemlösungen.

Über Laufbildillusionen hat Frameout Redakteurin Britta Rotsch mit Markus Wintersberger gesprochen.

 

Foto: Der Staatsbesuch. Der späte Wurm entgeht dem Vogel. PRISMA App - Art Comic/Analogdigital.

Frameout: Wie funktionieren Anerkennungsmechanismen von Medien, wie setzt sich ein neues Medium durch?

Markus Wintersberger: Einfachheit in der Bedienung, Klarheit in der Gestaltung. Medien müssen sich subtil, fast unbewusst in unseren Alltag einschreiben. In den sozialen Medien ergibt sich für die Nutzer*innen das Gefühl eines Wertzuwachses, aus einer öffentlichen Präsenz und der Präsentation der einzelnen User*In, ein sich selbst und seinen Alltag im Medium darstellen und veröffentlichen. Es ergibt sich eine erlebte aktive Teilhabe am System und das Medium selbst fungiert als repräsentativer Spiegel unserer Gesellschaft. Es bildet ab und bildet ein.

Frameout: Es wird technisch anscheinend alles gemacht und umgesetzt, was möglich ist. Was ist die Faszination dabei?

Markus Wintersberger: Technologisch befinden wir uns in einem dynamischen Prozess, der die Sinnfrage, aber vor allem auch die soziale Frage nach Auswirkungen und Begrenzungen von Technik kaum zulässt. Der Code, aus dem sich das weltumspannende Netzwerk, der „Apparat“, generiert, durchdringt mittlerweile sämtliche Lebensbereiche und ist kaum noch von einer nicht codierten Wirklichkeit zu unterscheiden. Die Möglichkeiten eines allumfassenden technologischen Netzes sind unbegrenzt und entwickeln sich explorativ, was auch die besondere Faszination von Technologie ausmacht. Die Auswirkungen durchziehen wiederum unsere Wirklichkeit, konstruieren diese und formen somit ein weltweites Unter- und Überbewusstsein, ein uns referenzierendes „Es“.

Frameout: Bei neueren Formaten im Netz sind GIFs sehr präsent. Was ist das Besondere daran?

Markus Wintersberger: Ein GIF (Graphics Interchange Format) stellt eines der ältesten Bildformate im Netz dar. Es wurde 1987 vom US Online-Dienst CompuServe als Farbformat eingeführt. Es besticht durch effiziente Kompression und die generierten Dateien benötigen wenig Speicherplatz. Außer der verlustfreien Kompression von einzelnen Farbbildern hat das GIF die Möglichkeit, Bilder in Form von mehreren, übereinanderliegenden Einzelbildern in einer Datei abzuspeichern, die von geeigneten Betrachtungsprogrammen wie Webbrowsern als Animationen interpretiert und dargestellt werden. Besonders der Einsatz als „Animated GIF“ macht es für Web-Künstler*innen und Designer*innen bis heute interessant.

Frameout: Medien erzeugen immer auch Illusionen. Beim Film ist die komplexe Bewegungs -Illusion noch relativ leicht zu begreifen. 24 Einzelbilder pro Sekunde werden aufgenommen bzw. projiziert und täuschen Bewegung vor. Wie entstehen digitale Laufbildillusionen wie zum Beispiel beim GIF?

Markus Wintersberger: Die Abspielgeschwindigkeit der animierten GIFs kann mit Hilfe eines Editors bei der Erstellung festgelegt werden, so kann ein GIF bewusst und inhaltlich bedingt ruckartig erscheinen oder mit erhöhter Geschwindigkeit ein gesteigertes Tempo suggerieren. Das „Animated GIF“ kann auch in Form eines Loops gespeichert werden, so wird es innerhalb einer Webbrowser-Oberfläche immerwährend, als Dauerschleife, abgespielt. Kurze Animationssequenzen erhalten durch diese Loop-Funktion eine suggestive Wirkung, was ihren Einsatz auch in der Werbung relevant macht.

Frameout: Jede*r mit einem Device und einer Netzanbindung kann ein GIF anfertigen und veröffentlichen. Wie sieht es urheberrechtlich mit diesem Format aus?

Markus Wintersberger: Das Format selbst ist wie jedes andere ein Container für eigene Inhalte, aber auch im Sinne einer Collage, eines Samples oder Remix, ein kreatives Modul zur Erstellung von neuen Sinnzusammenhängen und animierten Bildwelten. Gerade im Netz trifft man auf die unterschiedlichsten Ergebnisse, die von der Umrechnung ganzer klassischer Filminhalte in animierter Form bis hin zu politischen Satiren und verfremdeten Kunstwerken reichen. Die Frage nach dem Original zu stellen und das zu beobachten, ist sicher eine Grauzone, die aus Sicht einer kreativ, offenen Nutzung der Webinhalte anders zu befragen ist als aus einer ökonomisch gerichteten Verwertungslogik.

 

Markus Wintersberger denkt über die Schwerkraft nach und berührt ein Wurmloch beim Österreichischen Pavilion Biennale Venedig 2017

 

Frameout: Du hast ein 360°-Format Forschungsprojekt gestartet. Was sind dabei die zentralen Fragen?

Markus Wintersberger: Wie kann literarisches Material in 360°-Räume transferiert und welche Erkenntnisse können aus dem Feedback bezüglich Storytelling generiert werden?
Wie muss der Prototyp eines 360°-Scripts aussehen, und in welchem Ausmaß müssen die „Points of Orientation“ (Orientierung) und „Points of Attention“ (Aufmerksamkeit) konzipiert werden, um eine schlüssige Produktion zu ermöglichen?
Welche ästhetischen Variablen von 360°-Storytelling gibt es und wie können diese genutzt werden, um eine Geschichte zu erzählen?
Welche technischen Einschränkungen sind bei 360°-Produktionen gegeben und wie muss das Zusammenspiel von Kamera, Regie und Schauspiel im 360°-Script organisiert werden?

Frameout: Was ist das Besondere an diesem Format und wie unterscheidet es sich von anderen Medienformaten?

Markus Wintersberger: Mittels 360° Kameras kann die gesamte Raumsphäre, eine 360° rundum Raumabwicklung, aufgenommen werden. Bei klassischen Kamerasystemen nehmen wir einen Ausschnitt, im vielleicht 16:9 Format, auf. Damit ist der wesentliche Unterschied definiert und es ergeben sich völlig neue Herausforderungen an die gesamte Film-Produktions-Kette. Die Szene muss immer als Ganzes gedacht, gestaltet und bespielt werden. Bei der jeweiligen Gesamt-Raum-Aufnahme kann kaum etwas versteckt oder verschleiert werden. In der Rezeption, die im Idealfall über VR-Brillen stattfindet, hat der/die Betrachter*in jederzeit die Möglichkeit, sich in der Raum-Sphäre zu bewegen, zu drehen und somit die Aufmerksamkeit selbstbestimmt zu lenken.

Frameout: Passen sich hier die Inhalte mehr der Form an als es bei anderen Formaten der Fall ist?

Markus Wintersberger: Es geschieht wie immer in beide Richtungen, wobei die Monopolisierung der Systeme und damit auch die Formen einen Anpassungsdruck hinsichtlich der Inhalte erzeugen. Die Standardisierung und Normierung unserer Wirklichkeit drückt sich selbstverständlich in der Ästhetik, der Gestaltung und der inhaltlichen Ausrichtung einer weltumspannenden Mediensphäre aus. Die von Zensur und gesellschaftspolitisch gelenkten Motivationen gesteuerte Medienfläche verkleinert den Handlungsraum für Experimente, ästhetische Provokationen oder spielerisch-kreative Zugänge. Es findet eine Verflachung des Wirklichkeitsspektrums statt. „Unreines“ oder „Unschönes“ wird mittlerweile selbst zensuriert und die glatten Oberflächen der Touchscreens definieren und bespiegeln die polierte und saubere Welt unserer Interfaces.

 

Portrait Markus Wintersbeger 2016

 

 

Markus Wintersberger, 1968 in Krems an der Donau geboren, studierte an der Universität für Angewandte Kunst Wien bei Prof. Berhard Leitner. Er ist freischaffender Künstler, Medienwissenschaftler und Professor für Experimentelle Medien an der FH St. Pölten. Das von ihm zusammengestellte Video- und GIF Programm zeigt ausgewählte experimentelle Videoarbeiten von Studierenden der FH St. Pölten, Studiengang Medientechnik und Digitale Medientechnologien / Masterklasse Experimentelle Medien. Zusätzlich arbeitet er gerade an einem 360°Grad-Forschungsprojekt. 2017 hat Markus Wintersberger gemeinsam mit Frameout zwei Abende kuratiert.

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